Objektivität

Objektivität - Was steht im Fokus

Ich stehe dem Konzept der Objektivität skeptisch gegenüber. Zumindest immer dann, wenn mir jemand erzählt „objektiv betrachtet“. Häufig werden dann als Beweis Zahlen herangezogen. Ich habe nichts gegen Zahlen, wenn ich dabei erfahre, wie diese Zahlen gesammelt wurden. Welche Fragestellung verbirgt sich dahinter? Häufig, wird Objektivität einfach nur als Argument und Beweis für die Richtigkeit eigener Aussagen benutzt. Das nervt mich. Deshalb schaue ich mir in diesem Beitrag an, was Objektivität eigentlich ist und wie die systemische Schule, aus der ich komme, Objektivität versteht.

Was ist Objektivität?

Objektivität ist ein Konzept, das in verschiedenen Disziplinen wie Philosophie, Wissenschaft und Journalismus verwendet wird. Es bezieht sich auf die Praxis, Fakten, Informationen oder Situationen ohne persönliche Vorurteile, Interpretationen oder Emotionen zu betrachten und darzustellen. In einem objektiven Ansatz versucht man, die Realität so genau und unparteiisch wie möglich zu erfassen und wiederzugeben.

  • In der Philosophie bezieht sich Objektivität auf die Eigenschaft von Aussagen oder Urteilen. Diese sollten unabhängig von subjektiven Meinungen oder Wahrnehmungen wie wahr oder falsch sein. Es geht um die Suche nach einer Wahrheit, die außerhalb des eigenen Bewusstseins oder der eigenen Meinungen existiert.
  • In der Wissenschaft steht Objektivität für die methodische Herangehensweise an Forschung und Experimente. Hierbei wird versucht, die Einflüsse von persönlichen Vorlieben oder kulturellen Vorurteilen zu minimieren. Die Ergebnisse sollen zuverlässig und nachprüfbar sein.
  • Im Journalismus bezeichnet Objektivität das Bemühen, Nachrichten und Informationen ausgewogen, unparteiisch zu berichten. Sie sollen ohne Einfluss persönlicher Ansichten oder der Interessen der Medienorganisation dargebracht werden. Dabei wird versucht, alle relevanten Fakten und Perspektiven zu einem Thema zu präsentieren, damit die Leser oder Zuschauer sich eine eigene Meinung bilden können.

Welche Haltung haben Systemiker:innen zu Objektivität?

„Objektivität ist die Selbsttäuschung eines Subjekts, daß es Beobachten ohne ein Subjekt geben könnte. Die Berufung auf Objektivität ist die Verweigerung der Verantwortung – daher auch ihre Beliebigkeit.“
Erklärung der American Society for Cybernetics, in E. Glasfeld: Radikaler Konstruktivismus, 1998 (S.242)

In der systemischen Theorie und Praxis wird Objektivität oft anders betrachtet als in traditionell objektivistischen Disziplinen wie den Naturwissenschaften. Diese Theorie und Praxis wird häufig in Bereichen wie Psychologie, Therapie, Sozialarbeit und Organisationsberatung angewendet. Systemiker:innen legen den Fokus auf die Komplexität von Beziehungen, Interaktionen und Wahrnehmungen innerhalb von Systemen. Gemeint sind hier Familien, Gruppen oder Organisationen. Sie erkennen an, dass jede Beobachtung oder Intervention von der Perspektive des Beobachters beeinflusst wird. Das heißt, dass es keine absolute Objektivität geben kann. Jeder Mensch hat seine eigene Sichtweise und Interpretation der Realität.

Hier sind einige Kernpunkte zur Haltung von Systemikern bezüglich Objektivität

  • Konstruktivismus: Viele Systemiker:innen lehnen sich an den sozialen Konstruktivismus an. Dieser besagt, dass unsere Wahrnehmungen der Realität sozial konstruiert sind und durch unsere Interaktionen und Kommunikationen geformt werden. Sie gehen davon aus, dass das, was wir als „objektive Realität“ betrachten, tatsächlich eine Reihe von Übereinkünften innerhalb einer Gemeinschaft oder Kultur ist.
  • Relationalität: Systemische Ansätze betonen die Bedeutung von Beziehungen und Interaktionen. Die Objektivität einer Situation oder eines Problems wird nicht isoliert betrachtet. Es wird immer der Kontext der Beziehungen einbezogen und die Dynamiken, die das System prägen.
  • Mehrperspektivität: Systemiker:innen erkennen an, dass es viele verschiedene Wege gibt, eine Situation zu verstehen oder zu interpretieren. Sie fördern die Exploration verschiedener Perspektiven und Standpunkte. So entsteht ein umfassenderes Verständnis der Probleme und Dynamiken innerhalb eines Systems.
  • Reflexivität: Eine wichtige Praxis in der systemischen Arbeit ist die Reflexivität. Das ist die Fähigkeit, über die eigenen Annahmen, Werte und den Einfluss des eigenen Handelns nachzudenken. Systemiker:innen sind sich bewusst, dass ihre eigene Perspektive und Interaktion zum Teil des Systems wird, mit dem sie arbeiten. Daher reflektieren sie kritisch ihre Rolle und ihren Einfluss.
  • Lösungsorientierung: Es geht nicht darum, eine objektive Wahrheit zu finden. Stattdessen konzentrieren sich systemische Ansätze auf praktikable Lösungen. Positive Veränderungen für das System und seine Mitglieder zu finden, ist das Ziel. Der Fokus liegt auf dem, was funktioniert, anstatt auf einer objektiven Analyse dessen, was „wahr“ ist.

Fazit

Alle Menschen haben gewisse Vorurteile, Prägungen und Perspektiven haben, die ihre Wahrnehmung und Interpretation von Informationen beeinflussen. Das fließt auch in das Konzept der Objektivität ein. Es geht also darum, so objektiv wie möglich zu sein, indem man sich bewusst um Fairness und Ausgewogenheit bemüht. Dazu gehört auch, transparent über mögliche Einschränkungen oder Bias zu informieren.

Als Systemikerin neige ich dazu, Objektivität als ein eher relationales und perspektivisches Konzept zu sehen. Dieses wird von den vielfältigen Wahrnehmungen und Interaktionen innerhalb eines Systems beeinflusst. Es geht in meiner Arbeit darum, ein tiefes Verständnis der verschiedenen Perspektiven innerhalb eines Systems zu erlangen. Ich arbeite auf eine Weise, die die Komplexität und Verflochtenheit menschlicher Beziehungen anerkennt.

Für mich trifft es daher der Begriff „subjektive Objektivität“ am ehesten. Dieser Begriff erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, doch er anerkennt, dass unsere Versuche, objektiv zu sein, immer durch unsere subjektiven Erfahrungen gefiltert werden.

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Hallo, ich bin Sylvia

systemische Therapeutin, Trauma-Coach und Bloggerin. Seit über 20 Jahren arbeite ich mit Paaren, Familien und Einzelpersonen daran, negative Kindheitsprägungen und frühe Traumata zu lösen und ein Leben voller Selbstvertrauen, inneren Frieden und emotionaler Stabilität zu führen.
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