Nachdenken über eine Fahrt im Taxi

Eine Unterhaltung mit einem Fahrer im Taxi hat mich heute erst ein wenig wütend und dann sehr nachdenklich gemacht.

Das Taxi kommt

Mit viel Gepäck stand ich vor der Haustür und wartete auf das bestellte Taxi. Meine Reisetasche ist groß und wegen der Reiseliteratur ziemlich schwer. „Haben Sie da Steine drin?“ fragte der Taxifahrer. „Nein, nur Reiseliteratur“ antwortete ich. „Was die Leute so mit in den Urlaub nehmen“ wunderte er sich. Zwischen uns entspann sich ein Gespräch über mein Reiseziel Irland. Dort sei es ihm nicht warm genug, meinte er. Als ich seine Frage, warum ich denn nicht zum Bahnhof wolle, damit beantwortete, dass ich vor meiner Abreise noch ein paar Stunden arbeiten müsse, bekam das Gespräch eine merkwürdige Richtung.

Small Talk im Taxi

Eigentlich war es bis dahin mehr ein Frage-Antwort-Spiel. Small Talk im Taxi eben. Aber kaum hatte ich erzählt, dass ich noch arbeiten müsse (das mit dem Muss war eine Unachtsamkeit von mir, im Grunde arbeite ich sehr gern und will das auch), fing er an: Seit 35 Jahren gehe er arbeiten und er findet, dass die, die arbeiten, nie Zeit haben. Das stört ihn. Wofür arbeitet er denn, wenn das ganze Leben sowie nur aus Stress und Stress besteht. Dabei kenne er so viele Sozialschmarotzer, hat schon viele davon gefahren. Die haben Zeit, die haben immer Zeit. Die können ausschlafen und sich ein schönes Leben machen, während die, die arbeiten immer gestresst und gehetzt sind.

Dicke Luft

Meine Frage, ob er ernsthaft der Meinung sei, dass Hartz IV Empfänger ein schönes Leben haben, beantwortete er mit „Naja, die müssen schon ihre Ansprüche runterschrauben, aber ja, mit Hartz IV kann man offenbar ganz gut leben.“ Als ich ihm sagte, dass ich Sozialarbeiterin bin und viele meiner KlientInnen nicht sehr entspannt und zufrieden sind, brach es aus ihm heraus: „Ach Sie sind wie meine Tochter. Mit ihren 2 Studienabschlüssen will sie die Welt retten. Aber die Welt ist nicht zu retten. Mit mir redet sie nicht mehr, nur noch mit meiner Frau.“ Er erzählte dann noch, dass seine Tochter sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, während er der Meinung ist, die ganzen Ausländer sollten zurück und die Politik habe versagt, weil sie die Probleme nicht dort löst, wo sie entstehen. Stattdessen leben die hier auf unsere Kosten.

Kommunikationsknoten

Es war verrückt, immer wenn ich einen Einwand machte, zum Beispiel, dass wir Westeuropäer doch einen großen Anteil haben, an den Problemen in Afrika (ehemalige Kolonien, unsere Abfälle die dort landen, die Ausbeutung der Bodenschätze), ruderte er ein wenig zurück, kam mir auf seine verschrobene Weise ein Stück entgegen: „Ich kenne auch ganz tolle Ausländer, die hier geboren sind, die sind auch genervt von dem Ganzen.“ Meinen Einwand „aber wenn sie hier geboren sind, dann sind das doch Deutsche und keine Ausländer“, ignorierte er. Es war ein merkwürdig waberndes Gespräch, in dem der Themenkreis immer enger und kleiner wurde, auch weil er nach jeder Gegenrede von mir, das vorherige Thema zu vermeiden suchte. Kurz vor der Ankunft am Ziel sagte er „Ich weiß doch auch nicht, alles geht den Bach runter. In fünf Jahren gibt es kein Europa mehr. Dann ist Bürgerkrieg und wahrscheinlich vielleicht ist das gut so.“ Auf mein „dann ist doch wirklich alles vorbei. Was hinterlassen wir dann unseren Kindern und Enkelkindern?“, antwortete er ziemlich traurig, „Ich habe keine Enkel und meine Tochter redet nicht mehr mit mir.“

Die Lösung liegt in den Fragen

So wütend, wie mich das Gespräch zwischendurch machte, habe ich schnell gemerkt, dass ich meinen Gefühlen nicht nachgeben sollte. Sondern lieber Fragen stellen. Dadurch kamen immer mehr differenzierte Antworten von ihm, die genauer beschrieben, was ihn eigentlich bewegt. Ein vom Leben enttäuschter und dadurch verbitterter Mann ohne Hoffnung und sehr verletzt. Ich konnte die Einsamkeit hinter den Mauern und abwertenden Worten des Mannes fast körperlich spüren.

Zum Abschied waren wir uns einig, dass wir in verschiedenen Welten leben, unterschiedliche, sehr konträre Haltungen haben. Dass es schwer ist, miteinander zu reden, aber irgendwie auch notwendig.

Nachklang

Jetzt sitze ich im Zug, es sind 6 Stunden seit dieser Fahrt mit dem Taxi vergangen und die Begegnung beschäftigt mich noch immer. Die harte Trauer hinter den Worten des Mannes über den Verlust der Tochter. Hätte ich meinen Emotionen nachgegeben, hätten wir uns vermutlich angebrüllt und wären wir beide ein wenig bitterer geworden. So war es ein schweres Gespräch, aber wir konnten uns gut voneinander verabschieden. Er wünschte mir einen schönen Urlaub und ich dankte für das Gespräch.

Jetzt, wo ich Zeit habe, über die Begegnung nachzudenken, habe ich einmal mehr das Gefühl, dass wir alle aus unseren sozialen Blasen herausfinden sollten. Das Gespräch suchen. So wie unser Gespräch heute begann, kann ich mir gut vorstellen, dass die Tochter nach vielen vergeblichen Versuchen, mit dem Vater zu reden, das Weite suchte und resigniert aufgab. So wie ich den Mann erlebt habe, kann ich mir gut vorstellen, dass er versucht hat, mit aller ihm zur Verfügung stehenden Autorität, die Tochter zur Vernunft zu bringen. Durch die emotionale Verbindung dürfte das sehr explosiv gewesen sein. Auf der Ebene ist der Zugang wohl erst einmal versperrt.

Wir sollten reden

Hier im Zug kam mir die Idee, was wäre, wenn sich Menschen zusammen fänden, denen es ähnlich geht. Die Generation der Eltern und Großeltern ist vermutlich noch weniger in der Lage, die eigene Situation zu reflektieren und Auswege zu finden. Wenn jetzt eine Freundin zu mir käme und mir erzählte, sie hätte den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen, weil er AFD Anhänger ist und ich habe auch aus diesem Grund den Kontakt abgebrochen und eigentlich sind wir beide, so enttäuscht und wütend wir auch sind, darüber insgeheim auch traurig. Was würde passieren, wenn wir mit dem Elternteil der jeweils anderen das Gespräch suchten? Erst einmal nicht vordergründig, um die politische Haltung des anderen zu verändern. Sondern um ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Wege zu suchen (so der Vater das noch will), die den Zugang zueinander ermöglichen. Mit einem fremden Vater lässt es sich besser diskutieren als mit dem eigenen. Es ist viel zu gewinnen und wenig zu verlieren. Eine nicht mehr vorhandene Beziehung kann man nicht mehr zerstören. Aber man kann Wege aufeinander zu finden. Das wäre dann schon mal ein Anfang.

Ein Kommentar

  1. Ulrike 25. September 2019 um 08:44 Uhr

    Ich finde ein Taxiunternehmen muss gut gewählt sein. Gerade in Großstädten ist es gut ein Taxiunternehmen seines Vertrauens zu haben, bei dem man die Taxifahrten bestellen kann. Ich nehme immer dasselbe Unternehmen und damit sehr zufrieden.

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Hallo, ich bin Sylvia

systemische Therapeutin, Trauma-Coach und Bloggerin. Seit über 20 Jahren arbeite ich mit Paaren, Familien und Einzelpersonen daran, negative Kindheitsprägungen und frühe Traumata zu lösen und ein Leben voller Selbstvertrauen, inneren Frieden und emotionaler Stabilität zu führen.
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